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INSTALLATION & PERFORMANCE

Colanization

Vom 5. bis 19. Dezember 2009 konnten wir im Rahmen der Ausstellungseröffnung der jungen Künstlerin Christiana Biron in der Galerie 10m2, die einen der zwei Ausstellungsräume der Galerie Duplex10m2 bildet, auch einer Performance beiwohnen. Die Künstlerin hat den gesamten Ausstellungsraum in ein Café verwandelt und ihm mit dem umgestalteten Coca-Cola-Logo Colanization! ein „Re-Branding“ verpasst. Im Zuge der Performance bereitete Christiana den Anwesenden Getränk zu, das sie „hausgemachte Cola“ nannte und das von den mehr als Interessierten probiert werden konnte, während bei der Ausstellung selbst sämtliche Produkte aus der Region präsentiert wurden, die unter Coca-Cola-Einfluss aufgekommen sind.

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Die Ausstellungsbesucher sahen sich mit Erstaunen mit rund dreißig neu entstandenen und im Allgemeinen noch nie gesehenen Erzeugnissen konfrontiert und im Fernseher (unverzichtbares Detail in allen zeitgenössischen Cafés) konnten sie einen Dokumentarfilm über eine irgendwo in Afrika errichtete Coca-Cola-Fabrik verfolgen, in der ihre Mitarbeiter ausgebeutet werden, und in deren Anschluss der den breiten Massen der Region bekannte Musikhit – Malo Whiskey, malo Coca-Cola [Ein wenig Whiskey, ein wenig Coca-Cola] zu sehen war. Neben der allgemeinen Erheiterung der Anwesenden, die diesen Schund-kritischen Auftritt der bekanntesten Marke der Welt mit Interesse betrachteten, konnten diejenigen, die den Dingen genauer auf den Grund gehen, unter der Oberfläche eines billigen Turbo-Folk-Hits und der Plage regionaler Cola-Sorten, die das „Volk“ unterhalten, ein etwas größeres Problem ausmachen. Christiana hatte ebenfalls eine selbst gestaltete Zeitschrift angefertigt, in dem aufzeigte, in welchem Maße das Coca-Cola-Virus die Welt infiziert hat. Nach Ende der Performance blieb der kleinen Galerieraum zurück, der die Blicke der Vorbeigehenden tagelang mit seinem interessant eingerichteten Interieur auf sich zog und vielleicht bei einigen die Frage aufkommen ließ, „wann denn dieses neue Café aufmacht?“.

Der fast identische linguistische Anklang des Begriffs Colonization (Kolonisation) mit dem Ausstellungstitel Colanization! ist nicht verwunderlich. Diese Analogie zaubert auf den ersten Blick ein Lächeln ins Gesicht und wir denken uns „Booaaah, ist die cool und kreativ!“ - und dabei bleibt es dann meist. Was diese künstlerische These aber hervorrufen sollte und was die Reaktion derjenigen wenigen war, die unter die Oberfläche getaucht sind, ist: „Oh, wie schrecklich!“. Die kolonialistischen Einwanderungen der vergangenen Jahrhunderte dienten der Kultivierung und Bewusstseinsbildung der Einwohner von Ländern der dritten Welt durch den zivilisierten, weißen Mann aus dem Westen. Was ist unser Fazit, wenn Colanization in diesen Kontext gestellt wird? Die Bewusstseinsbildung und Hinterfragung des balkanischen Geschmacks im Hinblick auf ein leckeres Getränk des großen, weißen Mannes aus dem Westen. Bei diesem Prozess wird natürlich in erster Linie nicht das persönliche Fühlen des Einzelnen, sondern sein Geldbeutel angegriffen. Und dies betrifft nicht nur den homo balcanicus. Die Ausstellung Colanization kann in jedem Winkel der Erde gezeigt werden, sie wird überall aktuell sein! Die Konsumgesellschaft organisiert in Begleitung der großen Plage der Massenmedien unser Leben und lenkt das Denken der breiten Volksmassen häufig in eine Richtung, derer wir uns nicht einmal bewusst sind. Dies ist genau das Problem, auf das Christiana aufmerksam machen wollte. Sie ist nicht die erste, die die mächtigste Marke der Welt herausfordert, aber ungeachtet dessen, dass die Konsumgesellschaft bereits seit den sechziger Jahren und mit dem Aufkommen der Pop-Art kritisiert wurde, erregt diese Methode auch heute Aufmerksamkeit, wie wahrscheinlich auch in den kommenden fünfzig Jahren. Warum ist das so? Die Kritik wird von den meisten Betrachtern in umgekehrter Reihenfolge perzipiert als ursprünglich intendiert. Viele werden denken, dass Coca Cola zur Entwicklung in der Kunst beiträgt und ihr Wege neuer Kreativität eröffnet, sich freuen, ein Teil der erbarmungslosen Colanization zu sein und es dabei bewenden lassen. Der springende Punkt ist aber, wie oben erläutert, ein völlig anderer. Es geht darum, das Bewusstsein der breiten Volksmassen aufzurütteln, die sich an den Medien, Marken und Platzierungen falscher Werte und Ideale orientieren. Dies erkennen jedoch nur wenige, die nicht ausreichend sind, um eine große Veränderung in unserer heutigen Gesellschaft zu bewirken. Eben deswegen ist Coca Cola und daher Christianas Ausstellung auch heute ein aktuelles Thema und wird wahrscheinlich auch nie aufhören, aktuell sein.

Aida Salketić

Religious Souvenirs

OPSERVATORIJ [Rubrik „Kultur“ des bosnischen Wochenmagazins „DANI“]

2.10.2009

POP-RELIGION

Die Poetik religiösen Kitschkrempels

Im Rahmen der internationalen Ausstellung Sub Documenta, die laut Ankündigung am Montag, den 5. Oktober eröffnet werden soll, präsentiert sich auch die deutsch-bosnische Künstlerin Christiana Tiana-Alexis. Ihre Ausstellung trägt den Titel Spiritual Shopping und dieser Text wird von dem inspiriert, was im Rahmen dieser Ausstellung gezeigt werden wird

Text und Foto: Amer Tikveša

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Es hat den Anschein, dass die postmoderne Geschichte über die Abschaffung von Grenzen zwischen dem Höheren und dem Trivialen, dem Heiligen und dem Weltlichen nirgends in dem Maße zum Tragen kam wie in der Sphäre der Religion. Mond und Stern, ein Kreuz und andere religiöse Kennzeichnungen, die den Anblick eines appetitlichen Dekolletés verderben, Zamzam-Wasser in Flaschen in Bombenform, ein Aschenbecher mit Muttergottes-Abbildung, ein Flaschenöffner mit Jesusbild, eine Rakija-Flasche mit einem Flaschenhals in Form eines Kreuzes, ein Gebetsteppich mit Kompass Richtung Mekka und eine Uhr, die zum islamischen Gebet ruft, sind nur einige der Highlights religiöser Profanierung und Trivialisierung, die in der Ausstellung Spiritual Shopping von Christiana Tiana-Alexis zu sehen sein werden. Die Ausstellung befindet sich dafür genau am richtigen Ort, in einem der Räume kleiner Läden des KSC Skenderija-Komplexes, in dem die Umkleidekabine in einen Beichtstuhl umgewandelt wurde, womit die Künstlerin die altbekannte These unterstreichen möchte, der zufolge es zwischen Gott und uns keinen Vermittler geben sollte, was ebenfalls mit den Spiegeln der Umkleidekabine wortwörtlich genommen wurde. Die Ausstellung zeigt, wie Gott am langen Bart gezogen wird und in welcher Weise er auf Erden nackt gemacht wird, was zumeist über die Kommerzialisierung religiöser Symbole vonstatten geht. Mecca Cola und Qibla Cola sind im islamischen Kulturraum sicher eine der illustrativsten und gewinnträchtigsten Beispiele für dieses Phänomen. Diese beiden Erzeugnisse entstanden als Konkurrenz-Produkte zur Coca-Cola aufgrund der angeblichen Finanzierung antiislamischer Kampagnen und wurden schließlich untereinander zu Konkurrenten, die auf dem westeuropäischen beziehungsweise amerikanischen Markt um die Gunst islamischer Käufer buhlen. Ein Produkt aus Europa ist darum bemüht, den muslimisch-amerikanischen Konkurrenten auf „seinem“ Territorium zu überbieten und das andere jenes auf „seinem“ europäischen Marktgebiet. Die Qualität dieser Produkte spielt eine untergeordnete Rolle, da ja bereits allein aufgrund ihrer Bezeichnungen ersichtlich ist, dass es hier in erster Linie um einen Handel mit Symbolen geht. Dies passt in die Logik des neoliberalen Kapitalismus beziehungsweise seines Marketings, der einer der wichtigsten Bewahrer dieses Wertesystems ist. Bei diesem Marketingaspekt sind der Gebrauchswert der Produkte und ihre Wirkungsweisen nebensächlich, während dem Identifikationswert ein hoher Stellenwert eingeräumt wird. Das Ziel des Produktes besteht also nicht darin, dass es vom Käufer benutzt wird, sondern es soll dem Käufer vielmehr ein bestimmte Image verleihen und ihn im Rahmen seines Identifikationsbedarfs kennzeichnen. Darüber hinaus stützt sich diese Art von Marketing zu einem Großteil auf psychoanalytische Erkenntnisse und insbesondere auf die Idee des Unbewussten und dass der Mensch stärker von seinen verborgenen Ängsten, Wünsche, Komplexen usw. geleitet wird als von seinem Verstand. Dadurch wird eines der Hauptprinzipien monotheistischer Religionen herausgefordert, nämlich das, dass der Mensch ein Verstandswesen ist. In den heiligen Schriften sowie bei ihren Auslegern finden sich nicht selten Beispiele dafür, dass der Mensch sich eben durch den Verstand vom Tier unterscheidet und dass dies das größte Geschenk Gottes an den Menschen sei. Mecca Cola erhält so den sehnlichen Wunsch des Sieges des islamischen Kulturkreises über den des Westen durch den Kampf mittels der Symbole Mekka und Coca-Cola und all dessen, was diese beiden Symbole durch dieses Marketing personifizieren, aufrecht.

Das Zamzam-Wasser in der Bombenflasche erhält die Konnotation des als islamischen Terrorismus und militanten Islamismus bekannten Kampfes und bezieht seine Unschuld zur Entkräftung dieses Vorwurfs aus anderen Geschichten über das Wasser: seelische und körperliche Heilung, Erfüllung von Wünschen und ähnliches.

Sich zu betrinken ist weniger eine Sünde, wenn der Schnaps mit einem Kreuz versehen ist, entweder aus Holz in der Flasche oder einem Glaskreuz, der den Flaschenhals bildet, die Muttergottes macht Rauchen weniger verwerflich usw. Das Ziel besteht also darin, den Wunsch sichtbar zu machen – auch wenn der Käufer sich dadurch von den religiösen Prinzipien entfernt – an dieser Sichtbarkeit zu verdienen und neue Wünsche zu hervorzurufen. Dabei versteht sich von selbst, dass die Lügen des Herstellers, Käufers und Verkäufers von allen Seiten hindurch dröhnen. Ebenso wie ein Hemd mit der Abbildung Che Guevaras vom Markt für 5 Euro aus seinem Träger keinen Revolutionär macht, macht die Zamzam-Bombe keinen Muslimen und das Kreuz in oder auf der Schnapsflasche aus einem Trinker keinen Katholiken oder orthodoxen Christen. Es handelt sich demnach schlicht um die Materialisierung eines Wunsches, aber nicht um seine Erfüllung. Neben der Tatsache, dass religiöse und kapitalistische Missionierungsabsichten gleichgesetzt werden, werden auf diesem Niveau auch die Religionen untereinander durch ihre Art des Erwerbs neuer Anhänger und der Profitsteigerung gleichgestellt, ungeachtet der Animositäten ihrer Anhänger gegenüber den jeweils anders Gläubigen. Natürlich wird bei all dem auch der Infantilismus des Käufers angesprochen. Schon die Religion selbst regt das Infantile im Menschen an, das heißt sein Bedürfnis nach dem ewigen Vater, Vormund u. ä. und abgesehen davon, dass die religiöse Kommerzialisierung genau diesen Aspekt anspricht, entspricht sie weiterhin dem Bedürfnis nach Kitschkram, sodass alles eingangs gesagte auch als spezifische Darstellung der Poesie religiösen Kitschkrempels betrachtet werden kann. Dieses dreisilbiges, leicht zu merkende Wort beschreibt die beschriebenen Phänomene besser als sein Synonym „Spielzeug“, da dadurch stärker die infantile Konnotation herausgestellt wird und wirkt im Kontext der Gefahr, die diese Phänomene heraufbeschwören, so bizarr wie die Phänomene selbst.

 

DANI, 2.10.2009

 

Aus dem Bosnischen von Veronika Somnitz

Wenn du weißt wie man Pita macht, kannst du heiraten!

OPSERVATORIJ (Rubrik „Kultur“ des bosnischen Wochenmagazins „DANI“)

PERFORMANCES

Wenn du weißt wie man Pita macht, kannst du heiraten!

Am Sonntagabend brachte Sena, die Chefin des „Klubs der Liebhaber der siebten Kunst“, im Kino Bosna fünf jungen Frauen bei, wie man Pita* macht. Die Autorin dieser überaus notwendigen Performance ist Tiana Alexis, eine deutsche Künstlerin mit zeitweiligem Wohnsitz in Sarajevo. Für Dani spricht sie darüber, wie es zu dieser Idee kam

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EINES ABENDS saßen wir, fünf emanzipierte aber nicht verheiratete Frauen, im Kino Bosna und fragten Sena, warum wir nicht verheiratet sind. Sena antwortete kurz, lächelnd: weil ihr nicht wisst, wie man Pita macht. Mir gefiel ihre einfache Antwort – wir können unsere Selbstständigkeit nicht immer mit unserer Kindheit, vergangenen und gescheiterten Beziehungen, den Eltern und der Mentalität rechtfertigen und alles psychologisch analysieren. Darüber hinaus hatte ich von dieser Tradition in Bosnien schon gehört. Ich wollte wissen, was dieser Satz wirklich bedeutet. Wahrscheinlich heißt es, dass man heiraten kann, wenn man weiß, wie man sich um seine Familie kümmert. In Deutschland sagt man dazu, dass Liebe durch den Magen geht… Ich erkundigte mich: viele junge Frauen leben hier mit ihren Familien und ihre Mütter kochen, sodass sie niemals lernen, wie man Pita macht… Andere sagten mir wiederum, dass Pita machen bedeutet, dem Mann zu dienen. Wieder andere sagen, dass das heute nicht mehr von Bedeutung ist, da jeder Pita in der Buregdžinica** kaufen kann. Aber ich traf auch zwei junge Frauen, die sagten ‚ich will keine Pita machen‘, die aber ausreichend gelassen waren, um es lernen zu wollen. Ich wählte Sena als Lehrerin aus, weil ich es mag, auf welche Weise sie das Kino Bosna leitet, auf raue und zugleich weibliche Art, die Gäste wie Familienmitglieder behandelnd. Ich denke, dass heute zahlreiche Frauen in ihrem Bestreben, ihre Unabhängigkeit zu festigen oder Freiheit zu erlangen, ihre Weiblichkeit aufgeben… Warum? Warum vor sich selbst davon laufen, warum nicht mehrere Identitäten gleichzeitig haben? Ich schätze die wertvollen Eigenschaften, die wir Frauen besitzen. Manchmal sind wir emotional, ja und? Manchmal sind wir irrational, ja und? Ich denke nicht, dass auf dem Weg zur Selbstständigkeit das andere Geschlecht imitiert werden sollte. Ich weiß, dass diese Performance einige Leute provozieren kann und ich bin sicher, dass sie von Einzelnen falsch verstanden wird, aber ich wollte einfach die in der Tradition verwurzelten Regeln untersuchen, die Einfluss auf die Beziehungen zwischen Männern und Frauen haben: es gibt nicht nur Vorurteile über Frauen, die es ablehnen Pita zu machen, sondern auch über diejenigen, die es nicht ablehnen. Während der Vorbereitungen zu dieser Performance habe ich nicht geschlafen, nicht gegessen, nicht gekocht, ich habe meine Freunde und Familie vernachlässigt und von Pita geträumt… Solche Symptome habe ich normalerweise wenn ich verliebt bin. Ich habe beschlossen, ebenfalls bei der Performance mitzumachen: ich habe eine Lachs-Spinat-Käse-Pita gemacht. Ich habe auch die Jury eingeladen: Ibro Spahić, Jusuf Hadžifejzović, Boris Šiber, Damir Janeček, Alma Suljević und Damir Nikšić. Sie waren toll, jeder von ihnen hat uns auf seine Art beim Pita machen geholfen… Wir haben Späße gemacht, mit unseren Nudelhölzern gekämpft, der Teig ist gerissen und wir haben ihn geflickt und so weiter. Während der Zubereitung unterhielten wir uns über die Idee der Performance, Tradition, familiären und gesellschaftlichen Druck, Vorurteile… Die Jurymitglieder haben nach der Fertigstellung jede Pita probiert und benotet… Einige der Kriterien waren: wie viel Unordnung machst du bei der Pita-Zubereitung, wie sieht die Pita aus und wie schmeckt sie… Am Ende der Performance erhielten die „Köchinnen“ Zertifikate, dass sie ‚gelernt haben, wie man Pita macht und dass sie bereit sind, zu heiraten‘. Damir Nikšić schlussfolgerte außerdem, dass auch das andere Geschlecht das gleiche Problem hat: ‚Ein Mann ist bereit für die Ehe, wenn er den Militärdienst beendet hat‘.“ (B. Bećirbašić)

 

* Anm. d. Übers.: Teiggericht in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens, bestehend aus dünnen Teigblättern, die mit Hackfleisch, Käse oder Spinat oder (seltener) in der süßen Variante mit Kirschen und Äpfeln gefüllt sind.

** Anm. d. Übers.: Ladengeschäft und Imbiss, in dem ausschließlich Pitas angeboten werden. Traditionell serviert mit Sauerrahm und Trinkjoghurt.

 

Aus dem Bosnischen von Veronika Somnitz